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La Barceloneta

von Alina Grebe, Tobias Hertrich, Mario Pfeifer und Henrike Zimmer

Zwischen Masse und Maß – Leben mit dem Tourismus

La Barceloneta bietet viel: Kultur, Party, alte Fischertradition, Strand und Hafen. Kein Wunder, dass sich dieser Stadtteil Barcelonas innerhalb kürzester Zeit zu einem attraktiven Anziehungspunkt für Tourist*innen aus aller Welt entwickelt hat. Die hohe Besucher*innenfrequenz, der La Barceloneta insbesondere während der Sommermonate Juli und August ausgesetzt ist, wird im Viertel selbst jedoch kontrovers wahrgenommen und diskutiert: Während sich Besitzer*innen von Gastronomiebetrieben über steigende Umsätze freuen, fühlen sich Anwohner*innen in ihrem Alltag gestört und bekommen die Auswirkungen der Tourist*innenströme hautnah zu spüren. Spätestens dann, wenn feierwütige Touristen*innengruppen durch die Straßen ziehen und achtlos ihren Müll zurücklassen, ist für sie das Maß an Akzeptanz überschritten. Doch nicht nur die direkten Auswirkungen des Tourismus bekommen die Anwohner*innen zu spüren. Der Tourismus - wenn auch nicht auf den ersten Blick wahrnehmbar - verändert die Struktur des gesamten Viertels. Ein auf Tourist*innen ausgerichtetes Angebot, steigende Mieten und damit verbundene soziale Verdrängungen sind Auswirkungen der täglichen Tourist*innenströme. Diese Ströme beeinflussen das dortige Leben maßgeblich. Ein Streifzug durch La Barceloneta verdeutlicht den Einfluss des Tourismus auf das Stadtviertel und die dadurch hervorgerufenen Veränderungen im Quartier.

Auf Streifzug durch La Barceloneta

La Barceloneta gehört zu ältesten Stadtvierteln von Barcelona. Es liegt auf einer kleinen Halbinsel im Südosten der Stadt. Wer von hier aus den Blick über den Ozean streifen lässt, trifft nicht selten auf große Kreuzfahrtschiffe und Tanker, die in den südlich des Stadtteils gelegenen Hafen manövrieren. Im Norden hingegen wird La Barceloneta von langen Sandstränden gesäumt. Die drei Strandabschnitte Platja de la Barceloneta, Platja de Sant Sebastià und Platja de Sant Miguel ziehen sich über 1,1 km der Küste entlang und locken täglich zahlreiche Tourist*innen an.
Von Tourist*innen ist am Strand in den frühen Morgenstunden jedoch nicht allzu viel zu sehen. Zu dieser Zeit gehört der Strand noch den Einwohner*innen und Einheimischen des Stadtteils. Es scheint, als würden sie die Ruhe vor dem alltäglichen Tourist*innenansturm für sich nutzen. Während die einen ihr morgendliches Sportprogramm absolvieren und die Promenade auf und ab joggen, stellen die Besitzer*innen der zahlreichen Restaurants und Bars ihre Stühle raus. Von den ursprünglich einfachen Fischrestaurants, den sogenannten „Chiringuitos“, ist hier direkt am Strand nichts mehr zu sehen. Sie wurden im Zuge der touristischen Erschließung und der damit verbundenen Erneuerung der Strandpromenade verdrängt und durch teure Strandcafés ersetzt. Im Laufe des Vormittags füllt sich der Strand allmählich mit Tourist*innen und die Einheimischen ziehen sich von der Strandpromenade zurück, um den Tourist*innenmassen zu entfliehen. Mit den Tourist*innen kommen auch zahlreiche Straßenverkäufer*innen und Rikschafahrer*innen an den Strand, die hier ihre Fahrdienste anbieten und mit dem Verkauf von Strandhandtüchern und Cocktails ihr Geld verdienen. Im Laufe des Tages entwickelt sich am Strand ein buntes Treiben, für das der Stadtstrand Barcelonas bekannt ist: Sonnenliebhaber*innen arbeiten an ihrem Teint, Sportbegeisterte spielen in der Mittagshitze Volleyball oder betätigen sich sportlich an einem der vielen Fitnessgeräte. Andere wiederum sind zu Fuß oder mit dem E-Roller entlang der Promenade unterwegs und kehren in einem der vielen Restaurants ein. Währenddessen kommen die Angestellten der Stadtreinigung mit dem Aufräumen des Strandes kaum hinterher. An stürmischen Tagen zieht es Surfer*innen und Segler*innen aufs Meer hinaus. Besonders attraktiv scheint der Strand für junge Menschen zu sein, die unter anderem die hier vorherrschende Atmosphäre des „Sehens und Gesehen werdens“ für sich entdeckt haben. Sonne, Strand und Meer bieten zudem die perfekte Kulisse, um sich für ein gelungenes Instagram-Bild zu positionieren.
Im angrenzenden Wohnviertel ist es zeitgleich deutlich ruhiger. Rund um die Markthalle, welche sich im Zentrum des Stadtviertels auf dem Plaça de la Font befindet, herrscht gemächliches Treiben. In der im Jahr 2007 modernisierten Markthalle erledigen überwiegend Einheimische ihre Einkäufe. Im Angebot sind Käse, Obst, frischer Fisch und Fleisch. Tourist*innen sind hier nur vereinzelt anzutreffen. Die umliegenden, schmalen Straßenzüge scheinen im Vergleich zur Strandpromenade ebenfalls ruhig. An den Fassaden der Häuser sind kleinere Kunstwerke und Malereien zu erkennen, die Fischerfamilien und maritime Bilder zeigen. Sie zeugen davon, dass das Stadtviertel bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts eng mit der Fischerei verbunden war. Noch immer ist La Barceloneta für seine guten Fischrestaurants bekannt. Hinter den Fassaden der dicht besiedelten Wohnblocks leben knapp 15.000 Einwohner*innen auf einer Fläche von insgesamt 131,4 Hektar. Doch die augenscheinliche Ruhe in den Straßen trügt. An den Balkonen sind nicht nur blau-gelbe Stadtteilflaggen und die Unabhängigkeitsflaggen Kataloniens zu sehen, auch die pinkfarbenen Banner stechen Besucher*innen sofort ins Auge. Auf ihnen steht der Slogan „Respect Silenci“ (dt.: Respektiere die Stille). Die Schilder richten sich an diejenigen, die Tag und Nacht durch das Viertel in Richtung Strand ziehen und durch die sich Anwohner*innen in ihrem täglichen Leben und vor allem nachts gestört fühlen.
Was genau die Anwohner*innen damit meinen wird offensichtlich, wenn die Besucher*innen am Abend den Strand verlassen und die Partytourist*innen die Strandpromenade für sich beanspruchen. Je später der Abend, desto mehr füllen sich die an der Strandpromenade gelegenen Großraumdiscos. Insbesondere von Donnerstag bis Sonntag wird hier bis in die frühen Morgenstunden getrunken, getanzt und gefeiert. Zeitgleich wird der fast menschenleere Strand von der Stadtreinigung gesäubert und mit Hilfe großer Planierraupen für den nächsten Tag präpariert.
Die Bildergalerie veranschaulicht erste Eindrücke des Stadtteils La Barceloneta. Bereits auf den ersten Blick wird deutlich, dass der Tourismus eine große Rolle im Viertel spielt.
Ein erster Blick auf La Barceloneta zeigt: Einerseits gilt der Tourismus als wichtiger Impulsgeber und Wirtschaftsmotor, der rund 2,5 Millionen Menschen in Spanien Arbeit bietet (Stand 2018). Andererseits hat er auch negative Auswirkungen, die das Leben mit dem Tourismus für die Einwohner*innen erschweren. Doch was steckt hinter diesen ersten Eindrücken und wie lebt es sich mit dem Tourismus in La Barceloneta?
Im Folgenden sollen die ersten Eindrücke anhand von Fallbeispielen vertieft und hinterfragt werden. Von besonderem Interesse sind hierbei die einzelnen Geschichten und Lebenswege verschiedener Menschen, die mit und von dem Tourismus leben. Außerdem soll die Perspektive der Anwohner*innen in La Barceloneta herausgearbeitet werden. Angelehnt an das übergeordnete Thema „Zwischen Masse und Maß - Leben mit dem Tourismus“ werden im Folgenden verschiedene Sichtweisen auf den Tourismus dargestellt.

Maß oder Masse: Eine Frage der Wahrnehmung?

Schon seit längerem berichten Medien immer wieder von Tourist*innen, die leicht bekleidet durch die Straße ziehen, an Hauswände urinieren und sich in der Öffentlichkeit nicht zu benehmen wissen. Bei den Einwohner*innen in La Barceloneta trifft dieses Verhalten auf Unverständnis. Einige von ihnen reagieren mit Ablehnung, Protest und offener Fremdenfeindlichkeit. Letztere kommt in Graffiti-Slogans wie “tourists go home” oder “tourism kills the city” zum Ausdruck. Dabei machen die Einwohner*innen auf ein Phänomen aufmerksam, mit dem sich derzeit viele europäische Städte auseinandersetzen: Overtourism. Der Begriff beschreibt das Überschreiten der physischen Tragfähigkeit einer Stadt bzw. eines Stadtteils durch Besucheransturm. Seit 2017 wird das Phänomen des Overtourism in der tourismusgeographischen Forschung diskutiert und in der deutschen, medialen Öffentlichkeit (Arte Dokumentation) debattiert. Inhaltlich geht es dabei zum einem um die direkten Effekte von zu viel Tourismus, wie beispielsweise einer überlasteten Infrastruktur. Zum anderen werden auch indirekte Effekte, wie beispielsweise die Touristifizierung thematisiert. In diesem Kontext tritt Barcelona als Schauplatz von Overtourism häufig in den Mittelpunkt. Nachdem in den 1980er Jahren der Städtetourismus zum Massenphänomen wurde und die Stadt im Jahr 1992 die Olympischen Spiele austrug, stiegen die Übernachtungszahlen in Barcelona rasant an. Die darauf folgende Aufschüttung des Strandes und eine nahezu flächendeckende städtebauliche Aufwertung des Stadtteils La Barceloneta machte das Viertel für Tourist*innen besonders attraktiv. Wurden 1990 noch 1,7 Millionen jährliche Hotelgäste verzeichnet, übernachteten im Jahr 2018 in Barcelona 9,12 Millionen Besucher*innen in einem Hotel. Einschließlich anderer Übernachtungsmöglichkeiten wie Pensionen, Hostels und Airbnb wird von über 13 Millionen Besucher*innen im Jahr 2018 ausgegangen. Werden Tagesbesucher*innen und Kreuzfahrttourist*innen (über 2,7 Millionen im Jahr 2017) in die Statistik einbezogen, kann von rund 27 Millionen Besucher*innen im selben Jahr ausgegangen werden.
Doch das Phänomen des Overtourism ist vielschichtig und nicht allein anhand von messbaren Kennzahlen und Fakten zu erfassen. Vielmehr geht es um die individuell wahrgenommene Tragfähigkeit der Stadt bzw. des Stadtteils. Laut einer Umfrage der Stadtverwaltung Barcelona sehen über 10 Prozent der befragten Einwohner*innen den Tourismus als das größte Problem der Stadt an. Nur der problematische Zugang zu (bezahlbarem) Wohnraum spielt noch eine größere Rolle mit 12,8 Prozent. Dies kann mitunter aber auch auf den Tourismus zurückgeführt werden, da aufgrund von Airbnb Verdrängungsprozesse und steigende Mieten ausgelöst werden.
Während die einen ihr Geld mit dem Tourismus verdienen und eine große Zahl von Tourist*innen deshalb begrüßen, empfinden die anderen die Anwesenheit von Tourist*innen als persönliche Belastung. Unterschiedliche Wahrnehmungen und Bezugspunkte lassen die Anwohner*innen im Viertel folglich ganz unterschiedlich auf die Masse oder das Maß von Tourist*innen im Viertel La Barceloneta blicken.
Nicht nur für die Einwohner*innen von La Barceloneta stellt sich die Frage von Masse und Maß. Im Jahr 2017 sagte jede*r neunte weltweit reisende Tourist*in, dass sich die Überfüllung an der Destination auf die Qualität des Urlaubs ausgewirkt hat (Buck & Reutz 2017). Dies deutet darauf hin, dass auch viele Tourist*innen vom Phänomen des Overtourism tangiert werden. Ob das auch auf die Tourist*innen am Strand von La Barceloneta zutrifft? Eine Antwort darauf liefert die folgende Befragung verschiedener Strandbesucher*innen, die nach ihren Eindrücken am Strand im Hinblick auf “Masse oder Maß” gefragt wurden. Ist ein Kipppunkt erreicht und hat die Anzahl der Tourist*innen am Strand von La Barceloneta negative Auswirkungen auf die Qualität des Aufenthaltes?

Das Leben mit und vom Tourismus in La Barceloneta

Trotz der unterschiedlichen Wahrnehmungen bezüglich des Tourismus in La Barceloneta, verändert der Tourismus das Viertel ganz offensichtlich. Wer die bestehenden Angebote im Viertel betrachtet, stellt fest, dass sich diese überwiegend an Tourist*innen richten. An der Promenade sind zahlreiche Restaurants zu finden, dazwischen kleinere Supermärkte. Ihr Angebot ist oftmals auf kühle Getränke, Sonnencremes und Snacks beschränkt. Auch im Viertel selbst richtet sich das Angebot überwiegend an Tourist*innen. Viele Bars und Restaurants werben mit typisch spanischen Gerichten wie Paella, Pinchos und Fisch. Ein Blick auf die Karte zeigt zudem die vergleichsweise hohen Preise, die hier verlangt werden. So bezahlen Strandbesucher*innen für einen Cappuccino 4,70 Euro. Für die Anwohner*innen des Viertels sind diese Preise kaum bezahlbar und es wird für sie zunehmend schwieriger ihren alltäglichen sowie den speziellen Bedarf an Einkäufen zu decken. Auch die Rettungsschwimmer am Strand empfinden die Preise als eindeutig zu hoch. Einer von ihnen berichtet: “Die Preise hier am Strand kann sich im täglichen Leben niemand leisten. Sie sind auf Tourist*innen ausgelegt, die im Urlaub dazu bereit sind, mehr zu zahlen. In La Barceloneta ist mittlerweile alles auf Tourist*innen ausgelegt. Was wir hier brauchen sind mehr Angebote für Einheimische, beispielsweise ein Fitnessstudio.”
In der Wissenschaft wird das Überhandnehmen touristischer Angebote als Touristifizierung bezeichnet. Die Interessen der Anwohner*innen eines Viertels rücken dabei zunehmend in den Hintergrund. Gleichzeitig geht auch das soziale Gefüge und die Identität der Stadt oder des Stadtteils nach und nach verloren. Diese Veränderungsprozesse lassen sich recht gut beobachten. Sie analytisch zu erfassen, ist jedoch sehr schwierig. Eng mit diesen Veränderungsprozessen verbunden ist das Phänomen, dass Tourist*innen heute nicht mehr nur die gewohnten touristischen Pfade für sich beanspruchen. Vielmehr besteht das Bedürfnis nach individuellen, authentischen Erlebnissen, abseits der bekannten touristischen Schauplätze. Infolgedessen verlagern sich touristische Aktivitäten immer mehr in die urbane Nachbarschaft und in noch „unentdeckte“ Wohnquartiere. Ein Angebot das exakt auf das Verlangen nach dem Eintauchen in lokale Gepflogenheiten abzielt ist Airbnb. Der Anbieter wirbt mit authentischen Unterkünften und einem Aufenthalt, welcher dem Leben der Einwohner*innen vermeintlich sehr nahekommt. Touristische Aktivitäten dringen so in bislang nur wenig touristifizierte Räume ein. Oftmals geschieht dies in Wohnquartieren der sozioökonomisch schwächer gestellten Bevölkerungsschichten. Auch in La Barceloneta sind die sogenannten new urban tourists bereits auf der Suche nach lokaler Authentizität und individuellen Erfahrungen. Im Gespräch mit der Nachbarschaftsvereinigung in La Barceloneta wurde deutlich, dass der Stadtteil ein Hotspot von überwiegend illegal eingerichteten Airbnb Wohnungen ist. Von den insgesamt etwa 7.000 Wohnungen im Stadtteil werden ca. 1.000 über Airbnb vermietet. Weniger als 10 Prozent dieser Angebote erfolgen legal und unter Zahlung von Steuern und Gebühren an die Stadt.
Im Laufe des Forschungsaufenthaltes in Barcelona überkommt auch uns, als Autor*innen dieses Beitrages, das Gefühl unbeabsichtigt in einer dieser illegal vermieteten Ferienunterkünfte eingecheckt zu haben. Im Haus der Unterkunft scheinen noch weitere Airbnb Wohnungen zu sein. Fast täglich reisen Gäste an und ab. Verwunderlich zudem die Aussage des Vermieters beim Check-in: “Im Falle, dass euch jemand fragt, wer ihr seid und was ihr hier macht, sagt einfach ihr seid gute Freunde der Familie”, erklärt er uns. “Nicht jeder hier in der Nachbarschaft ist ein Freund von Airbnb”, fügt er hinzu.
Doch die Anwohner*innen sind entschlossen, gegen die illegale Vermietung der Wohnungen als Ferienunterkünfte vorzugehen. Für sie wird nicht nur dringend benötigter Wohnraum zweckentfremdet. Auch können sie sich die immer weiter steigenden Mieten nicht mehr leisten. Infolgedessen müssen sie aus dem Viertel und teilweise sogar aus der Stadt ziehen.
Hop-on-Hop-off-Busse fahren durch die Wohngegend von La Barceloneta
Während die einen die zunehmend touristischen Angebote kritisch sehen, bieten sie für andere eine solide Einnahmequelle. Das folgende Video zeigt die Geschichte von Rikschafahrer Buba, der am Strand von La Barceloneta seine Fahrdienste anbietet und so das touristische Angebot erweitert. Seine Vision zeigt, dass der Tourismus für ihn eine Chance darstellt und er, wie viele andere auch, vom touristischen Angebot und der hohen Nachfrage lebt.
Wie Buba werben täglich zahlreiche Rikschafahrer*innen auf der Strandpromenade um Kundschaft. Fliegende Händler*innen verdienen ihren Lebensunterhalt mit dem Verkauf von Waren. Am Strand werden vor allem Cocktails, kühles Bier oder Strandtücher verkauft. Entlang der Tourist*innenströme am Hafen verkaufen Händler*innen gefälschte Markenware wie Kleidung, Schuhe, Uhren und Handtaschen. In den meisten Fällen besitzen sie keine Aufenthaltsgenehmigung oder Verkaufslizenzen.
Der große informelle Sektor, der vom Tourismus abhängig ist, geht auch auf eine Besonderheit im spanischen Einwanderungsgesetz zurück. Wer drei Jahre lang in Spanien lebt, soziale Verwurzelung und einen Arbeitsvertrag nachweisen kann, darf ein Bleiberecht beantragen und somit legal in Spanien leben und arbeiten. Daher versuchen einige Eingewanderte, sich zunächst mit informellen Jobs durchzuschlagen, um schließlich eine Aufenthaltsgenehmigung beantragen zu können.
Die Stadt hat auf den illegalen Verkauf von Waren mit Verboten und Bußgeldern reagiert. Schilder weisen darauf hin, dass der Kauf von Waren bei illegalen Straßenhändler*innen mit einer Strafe von 50 Euro sanktioniert werden kann. Die Händler*innen passen sich mit eigenen Strategien an die Verbote an oder versuchen diese zu umgehen. So bieten sie ihre Waren auf Decken an, die sich bei Kontrollen schnell zusammenpacken und an anderen Orten wieder ausbreiten lassen. Zudem haben die Strandtuch-Verkäufer*innen meist nur ein Tuch zur Hand. Werden sie von der Polizei erwischt, kann diese ihnen nur dieses abnehmen. Anschließend buddeln sie das nächste Tuch aus einem Versteck im Sand aus und ziehen erneut los, um es den Tourist*innen anzubieten. Einige der so genannten „Manteros“ haben sich 2015 in einer Gewerkschaft zusammengeschlossen, um für die Legalisierung des „Top Manta“ genannten Straßenverkaufs zu kämpfen.
Ein indirekt mit dem Tourismus verbundenes Problem ist die steigende Kriminalität in Barcelona. In La Barceloneta sind es meist Tourist*innen, die Opfer von Diebstählen und Überfällen werden. So erzählt auch Rikschafahrer Buba, schon oft bei Überfällen eingeschritten oder gar selbst überfallen worden zu sein. Die Zunahme von Diebstählen und Gewaltverbrechen wird immer mehr zum Imageproblem für Barcelona. Im Sommer 2019 gingen mehrere negative Schlagzeilen um die Welt. So starb eine Repräsentantin des südkoreanischen Kulturministeriums in Folge eines Sturzes, nachdem Diebe ihr die Handtasche entrissen hatten. Der afghanische Botschafter wurde von einer Gruppe eingekreist und zu Boden gebracht. Ihm wurde seine 17.000 Euro teure Armbanduhr gestohlen. Weitere solcher Meldungen häuften sich. 2018 stieg die Anzahl aller angezeigten Straftaten in Barcelona um 17,2 Prozent, im ersten Quartal 2019 um weitere 12,2 Prozent. Seit 2016 haben Diebstähle mit Gewaltanwendung um 60 Prozent zugenommen (Stand September 2019).
Die steigende Kriminalität beklagen auch die Anwohner*innen von La Barceloneta. Sie fühlen sich in ihrer eigenen Nachbarschaft nicht mehr sicher. Am 14. September 2019 starteten sie eine Demonstration gegen Kriminalität und Unsicherheit im Viertel. Mit Bannern wie „La Barceloneta – Stadt ohne Gesetz“ und „Wir wollen ein würdiges Barceloneta“ zogen sie durch die Stadt. Auf dem Rathausplatz versammelten sich etwa 1.000 Demonstrant*innen aus mehreren Stadtteilen. Sie fühlen sich von der Politik im Stich gelassen und forderten von der Bürgermeisterin und dem Innenminister sofortige, wirksame Maßnahmen, um wieder in Frieden leben zu können.

Mehr “Qualitätstourismus” und Respekt

Zwar ist an vielen Stellen der Schriftzug “Tourist go home!” zu lesen, jedoch ist ein Leben ganz ohne Tourismus im Stadtteil La Barceloneta für viele nicht vorstellbar. Zu groß ist die bereits bestehende Abhängigkeit von den Einnahmen aus dem Tourismus. Für Menschen wie Rikschafahrer Buba bietet der Tourismus zudem die Chance auf ein besseres Leben.
Die Art des Tourismus ist für viele Anwohner*innen jedoch ein Problem. Sie klagen über Partytourist*innen und billig Reisende, die wenig Geld ausgeben und sich nicht zu benehmen wissen. Ihre Forderung: “Don't add more people, change the kind of people”. Fehlender Respekt sei ein Grund, warum die Einstellung dem Tourismus gegenüber im Viertel teils negativ sei. Verantwortlich dafür, die Art des Tourismus zu ändern und den Tourismus zu regulieren, sind in den Augen der Anwohner*innen die Stadt und die Regierung. Von der Regierung wird erwartet, die Besucherzahlen zu limitieren. Beispielsweise indem die Preise für Flüge nach Barcelona erhöht werden und Billig-Airlines den Flughafen nicht mehr ansteuern dürfen. Auch weitere Maßnahmen zur Regulierung der illegalen Airbnb-Apartments werden gefordert.
Ein weiteres Problem ist der Verlust der Identität, der mit dem zunehmenden Massentourismus sowie der fortschreitenden Implementierung von internationalen Produkten, Marken und Ketten einhergeht. Mit dem Verlust der Identität geht zudem das Gefühl von Stolz verloren, wie uns Restaurantbesitzer Jordi Fané berichtet. Seiner Meinung nach ist es für La Barceloneta wichtig, an Traditionen wie der Zubereitung von Paella festzuhalten, um die Identität und das, was das Viertel ausmacht, zu bewahren. Er bietet seine Paella und andere lokale Gerichte direkt am Strand an und lebt in den Sommermonaten von Juni bis August zu 80 Prozent von Tourist*innen.
Auch Fané betont, dass es wichtig sei, ein gutes Verhältnis zwischen Tourist*innen und Einwohner*innen zu schaffen, und dass die Stadt den Tourismus reglementieren solle. Beispielhaft erzählte er uns davon, dass McDonald’s seine Lokalitäten einnehmen wollte. Dieses Vorhaben wurde jedoch von der Stadt abgelehnt. Seiner Meinung nach war diese Entscheidung ein Schritt in die richtige Richtung.
Ein gutes Beispiel für die aktuellen Diskussionen innerhalb der Nachbarschaft von La Barceloneta über die geforderte Transformation des Tourismus ist das geplante Hermitage Museum im Hafenbereich. Hierbei handelt es sich um einen Ableger des renommierten Eremitage Museums in Sankt Petersburg.
Einige Stimmen aus der Nachbarschaft sehen in dem Vorhaben ein Prestigeprojekt, welches Gentrifizierung, Touristifizierung und die Überlastung von Infrastrukturen weiter befördert. Andere Organisationen aus Gewerbe, Gastronomie und Einzelhandel stehen dem Projekt jedoch positiv gegenüber. So auch Manel Martínez von der Nachbarschaftsvereinigung in La Barceloneta. Er sieht in dem Museum eine Chance zur Wiederherstellung des positiven Images des Viertels. Eine solche kulturelle Einrichtung von internationaler Bedeutung sei identitätsstiftend und bestärke den Stolz auf das Viertel. Zudem erwartet er positive Auswirkungen auf die lokale Wirtschaft und Arbeitsplätze für die ansässige Bevölkerung. Die Entscheidung über die Genehmigung des Museums liegt bei der Stadt und wurde noch nicht beschlossen.
Wie auch immer die Entscheidung über die Errichtung des Museums ausfallen wird, es steht fest, dass die Art des Tourismus ausschlaggebend dafür ist, wie Einwohner*innen ihn wahrnehmen und bewerten. Auch diejenigen, die vom Tourismus leben und abhängig sind, teilen die Meinung, dass der Tourismus in La Barceloneta so reguliert werden sollte, dass sich Anwohner*innen in ihrem Alltag nicht gestört, sondern respektiert fühlen. Nur so kann ein gutes Verhältnis zwischen Tourist*innen und den Einwohner*innen von La Barceloneta geschaffen werden und die Balance zwischen Masse und Maß wieder hergestellt werden.
Literatur
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